Peace Counts Gräfenberg 2011

Über im Rahmen dieses Projektes durchgeführte Veranstaltungen erschienen mehrere Presseberichte.
Zwei davon dokumentieren wir hier mit der freundlichen Genehmigung des Verfassers.

 

Über „Zivilcourage“ im Partnerkreis Pirna geredet
Sebastian Reißig schildert Aktivitäten der Friedenserziehung gegen Rechts im sächsischen Landkreis

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie ihre Großeltern!“ Der witzige Aufkleber-Spruch mit ernstem Hintergrund steht unter einem stilisierten schwarzen Schnauzbart. Er illustriert eine der vielfältigen Aktivitäten, über die Sebastian Reißig, Mitbegründer der sächsischen „Aktion Zivilcourage“, im Evangelischen Gemeindezentrum Gräfenberg berichtete.  Der Vortrag war der Auftakt zum einwöchigen Ausstellungs- und Schülerprojekt „Peace Counts“.

GRÄFENBERG.– Auf den ersten Blick scheinen sich die Bilder zu gleichen: Schwarz uniformierte, vermummte Kahlköpfe, in ihrer Mitte ein NPD-Stadtrat, zum bedrohlich-martialischen Gruppenbild aufgebaut. Während die Mehrheit der Bürger weg schaut, formiert sich dagegen ein fröhlich-buntes, parteiübergreifendes Bündnis aktiver Demokraten, in ihrer Mitte Bürgermeister und Pfarrer: Die sächsische Schweiz ist bunt, Gräfenberg auch. Das sind die Gemeinsamkeiten, die beim Vortrag Sebastian Reißigs zwischen seiner „Aktion Zivilcourage e.V.“ und dem „Bürgerforum Gräfenberg“, das ihn eingeladen hatte, ins Auge springen. Beide wissen, dass sich eine stabile Demokratie durch aktive Bürger auszeichnet. Beide engagieren sich für eine Kultur der Toleranz und des fairen Miteinander, gegen Menschenverachtung, Rassismus und Gewalt. Mit dabei auch an diesem Abend: Bürgermeister Werner Wolf und Dekanin Christine Schürmann.

Brutale Schläger
Der Unterschied: die Ausgangssituation in Pirna vor 13 Jahren war gekennzeichnet durch erschreckend hohe Wahlergebnisse neonazistischer Parteien von teils über 20 Prozent. Mit ihnen im Bund zunehmend gewalttätiger auftretende rechtsextreme Kameradschaften wie die inzwischen verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS), die Ausländer und Andersdenkende überfielen und brutal zusammenschlugen. Reißig, damals 19 Jahre alt, bekam das am eigenen Leib schmerzhaft zu spüren. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft der einst angesehenen Heil- und Pflegeanstalt Pirnaer Sonnenstein, die von den Nazionalsozialisten 1940 in eine Tötungsanstalt umgewandelt wurde. 13 720 Behinderte und psychisch Kranke und 1031 KZ-Häftlinge waren dort in den Gaskammern umgebracht worden.

Reißig und drei Freunde aus dem Bereich der evangelischen Jugendarbeit erkannten 1997: Gegen den wieder erwachten Ungeist der Barbarei musste etwas getan werden, in der jugendkulturellen Wüste eine andere Kultur entstehen. „Die Vergangenheit können wir nicht ändern“, sagten sie sich. „Aber unsere demokratische Zukunft müssen wir gemeinsam aktiv gestalten!“ So entstand am runden Tisch ihre Initiative, die sich nach schwierigen Anfängen inzwischen zu einem Verein mit fast 100 aktiven Mitgliedern entwickelt hat und als Träger der freien Jugendarbeit sechs fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt. Eingebunden in ein ständig wachsendes Netzwerk von Bündnispartnern in allen Parteien, in Gewerkschaften und Kirchengemeinden und rund 80 Organisationen der Region, sind sie heute für Schulen, Vereine und Medien, aber auch Justiz und Polizei ein unentbehrlicher, ideenreicher Partner.

Beim anschließenden Erfahrungsaustausch bedauerten Aktive des Gräfenberger Bürgerforums, dass sie hier eine ähnlich breite Wertschätzung und Unterstützung bei einem Teil der Bevölkerung, der Politik und der Polizei vermissen: „Muss denn das Kind erst in den Brunnen gefallen sein?“ Man will Kontakt halten und weiter voneinander lernen. Und schließlich die Gretchenfrage nach der „Extremismus-Erklärung“: Wie haltet ihr es mit dem Gesinnungs-TüV, der demokratische Bürgerinitiativen unter einen „linksextremistischen“ Generalverdacht stellt? Die pragmatische Antwort: Unter Protest unterschreiben und zu den Akten legen!

Manfred Schwab/Nordbayrische Nachrichten, 25.02.2011

Schüler lernen Frieden
Konfliktlösung anhand der Ausstellung „Peace Counts“

Gräfenberg – Eckentaler und Gräfenberger Schüler lernen zurzeit, wie man Frieden macht

Auf die Frage, wie junge Menschen dafür gewonnen werden können, sich gegen Gewalttätigkeit und für ein friedliches Miteinander einzusetzen, bietet das Gräfenberger Bürgerforum derzeit gemeinsam mit dem Dekanat Gräfenberg und dem Fränkischen Bildungswerk für Friedensarbeit eine vielversprechende Antwort: Anhand der Ausstellung „Peace Counts“ lernen Schülerinnen und Schüler Beispiele erfolgreicher Friedensmacher in Konfliktregionen rund um den Globus kennen. Bis zum Wochenende werden täglich Schülergruppen aus der Mittelschule Gräfenberg, der Mittelschule und dem Gymnasium Eckental sowie die Gräfenberger Präparanden das pädagogische Begleitprogramm im Evangelischen Gemeindezentrum nutzen.

Bereits am Dienstag hatten sich 25 Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse der Gräfenberger Mittelschule dazu angemeldet. Unter der pädagogischen Anleitung von Gaby Wittmann und Judit Bartel wählten die Teilnehmer Bilder und Projekte aus, die sie besonders ansprachen, darunter auch von zehn regionalen Initiativen. Die Kinder beschäftigten sich mit Fragen wie: Welche Bedürfnisse stehen hinter den Konflikten? Wie können sie gewaltfrei gelöst werden? Welche Eigenschaften müssen die Friedensmacher besitzen? In kleinen Rollenspielen übten sie dazu faire, gewaltfreie Konfliktlösungen im Alltag ein. Und sie überlegten gemeinsam, in was für einem Projekt sie selbst gern mitmachen würden.

Von Cool Ridern angetan
Die Favoriten der Kinder waren dabei die „Cool Rider“ (geeignete Schüler werden zu Fahrzeugbegleitern ausgebildet, die bei Rangeleien und Belästigungen im öffentlichen Nahverkehr streitschlichtend eingreifen). Auch das Nürnberger Projekt „Laufen für den Frieden“ imponierte und machte Lust auf Nachahmung: Die Teilnehmer laufen auf einem 500-Meter-Rundkurs durch die Stadt. Zuvor haben sie sich Sponsoren gesucht, die für jede gelaufene Runde einen vereinbarten Betrag für ein Friedensprojekt spenden. Beeindruckt hat auch das Beispiel „Fußball und Fair Play“ (ehemalige kolumbianische Bandenführer lernen sportliche Regeln einzuhalten). Ein Bild aber hat viele besonders bewegt: Die traurigen Augen eines Kindersoldaten mit umgehängter Waffe. Was diesem Kind fehlt, hatten sie schnell heraus: Liebe!

Manfred Schwab/Nordbayrische Nachrichten, 25.02.2011