Erklärung des Vorstandes der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) zum Krieg im Nahen Osten

Perspektive gerechter Frieden

Die gewaltsamen Terrorangriffe der Hamas, die militärische Reaktion Israels und die Strategie der Hamas- Kämpfer, dabei Zivilist*innen als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, führten bereits zu tausenden Toten, Verletzten und Traumatisierten, Geiseln und Vertriebenen. Besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen im Gaza-Streifen leiden und sterben an Not und Gewalt.
Das Ziel der Hamas, den Konflikt zu eskalieren, den Hass zu schüren und damit einen Flächenbrand auszulösen, der die Existenz des Staates Israel in Frage stellt, droht aufzugehen. Die israelische Regierung setzt unter dem Ziel, die Hamas im Gazastreifen zu vernichten, trotz breiter Kritik auf eine Kriegsführung, die tausende zivile Opfer in Kauf nimmt.

Der zwischenzeitliche Waffenstillstand im Gazastreifen zum Austausch von Geiseln der Hamas mit Inhaftierten aus israelischen Gefängnissen war eine Atempause, in der die Versorgung der Menschen in Gaza wiederaufgenommen werden konnte. Es ist dringlich, dass die Waffen wieder schweigen und die Verhandlungen zur Freilassung weiterer Geiseln fortgeführt werden.

Die Auswirkungen der derzeitigen Eskalation sind weltweit zu beobachten: zunehmender Antisemitismus, Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, Muslimfeindlichkeit, Gewalt gegen Palästinenser*innen, Druck auf Regierungen, sich für oder gegen Israel zu stellen. Eine objektive Berichterstattung vom Krieg ist erschwert, in (sozialen) Medien werden vielfach gezielt Falschinformationen und Hass verbreitet. Diejenigen hingegen, die sich für Verständigung und einen gerechten Frieden einsetzen, geraten unter immer größeren Legitimationsdruck. Ihre Arbeit ist gefährdet.

Angesichts der akuten, schrecklichen Gewalteskalation eines seit Jahrzehnten ungelösten Konfliktes sollte in der aktuellen Diskussion alles vermieden werden, was zu (weiteren) Vorverurteilungen und Fehlinterpretationen führt.
- Sich für das Existenzrecht Israels unverbrüchlich einzusetzen bedeutet beispielsweise nicht, die Politik der jetzigen rechts-nationalen Regierung zu verteidigen.
- Die Terrorangriffe der Hamas uneingeschränkt zu verurteilen bedeutet nicht, den Anspruch der Palästinenser*innen auf ein Leben der Palästinenser*innen in gerechtem Frieden zu bestreiten.
- Das Recht Israels auf Bekämpfung der Hamas-Terroristen zu bejahen bedeutet nicht, das militärische Vorgehen im Gazastreifen zu befürworten.

Wir sind schockiert, dass die von der Hamas begonnene kriegerische Auseinandersetzung in Deutschland zu vermehrter Gewalt gegen Jüdinnen und Juden und zu verstärktem Antisemitismus geführt hat. Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches (und weltweites) Problem, das nicht alleine den Sicherheitskräften und der Justiz übertragen werden darf, sondern gemeinsam bekämpft werden muss. Genauso falsch ist es, Palästinenser*innen, Araber*innen oder Muslim*innen pauschal als antisemitisch zu brandmarken. Ein Generalverdacht gegen (arabische) Muslim*innen verschärft vielmehr Rassismus und fördert innergesellschaftliche Konflikte. Zudem muss das Recht auf freie Meinungsäußerung einschließlich seiner Freiheiten und Grenzen auch für diejenigen gelten, die sich mit Anliegen der Palästinenser*innen solidarisieren.

Der aktuelle Krieg zeigt mehr als deutlich die Dringlichkeit eines langfristigen, umfassenden und gerechten Friedens für die Region, der die Sicherheit Israels gewährleistet und Palästinenser*innen ein gutes, sicheres Leben ermöglicht.
Wir rufen Deutschland und alle Staaten auf, sich unter Einbezug der Vereinten Nationen für eine Deeskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen, für politische Verständigung und für eine nachhaltige Lösung des Konfliktes einzusetzen, damit ein selbstbestimmter Frieden möglich wird.

Mitgliedsorganisationen der AGDF engagieren sich seit langem in Israel und den palästinensischen Gebieten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beispielhaft seien genannt:
• ICJA-Freiwilligenaustausch weltweit entsendet junge Freiwillige nach Israel und in das Nachbarland Jordanien.
• Die Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion KURVE Wustrow und der Weltfriedensdienst arbeiten mit Partner*innen in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten für Friedensperspektiven, wie die Einhaltung der Menschenrechte, den Ausbau von Frauenrechten, den Abbau von Hass und Vorurteilen, die Einhaltung internationalen Rechts.

Die AGDF ist getragen von der Überzeugung, dass militärische Gewalt keinen Frieden bringen kann. Aus Gewalt entsteht weitere Gewalt. Frieden, Freiheit und Sicherheit lassen sich nicht mit Gewalt erzwingen – weder für Israel noch für Palästina.

Unter den Mitgliedern besteht große Einigkeit in der Verurteilung des Terrors der Hamas. Zugleich gibt es unterschiedliche Perspektiven auf den in Israel/Palästina herrschenden Konflikt. Die AGDF sieht ihre Aufgabe darin, den inhaltlichen Austausch unter den Mitgliedern zu fördern, die Vision eines gerechten Friedens und die Praxis gewaltfreier Konfliktbearbeitung öffentlich zu vertreten.

Hannover, den 5. Dezember 2023