Erklärung der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden 6. März 2022: Nein zum Krieg in der Ukraine! Ja zu Sozialer Verteidigung!

Es herrscht wieder Krieg in Europa. In einem Angriffskrieg sind russische Truppen auf Befehl der russischen Regierung unter Wladimir Putin in der Ukraine einmarschiert. Schon jetzt gibt es viele Tote und Verwundete. Es drohen weitere Eskalationen.

Wir sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, mit allen, die unter diesem Krieg
leiden, mit denen, die flüchten und Schutz suchen. Ihnen allen jetzt offene und
unbürokratische Aufnahme in unserem Land zu geben, muss eine Selbstverständlichkeit sein.
Und wir unterstützen humanitäre Hilfe in jeglicher Hinsicht.
Wie kann Hilfe für die Menschen in der Ukraine außerdem aussehen?
Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin kann auf vielfache Weise ausgeübt
werden. Wir sind beeindruckt von den Demonstrierenden, die in Russland jeden Tag auf die
Straße gehen und dabei viel riskieren. Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen, Künstler*innen
lehnen diesen Krieg ab und äußern dies auch öffentlich. Wir halten auch Sanktionen für
richtig, wenn sie primär den politisch und wirtschaftlich Mächtigen schaden und nicht der
breiten Bevölkerung. Russische Soldaten, die desertieren, sollten in Deutschland politisches
Asyl erhalten.
Ob Waffenlieferungen in die Ukraine helfen, den Krieg zu beenden? Wir bezweifeln das. Jede
Lieferung von Waffen verlängert diesen Krieg, der militärisch gegen die Übermacht der
russischen Truppen vermutlich nicht gewonnen werden kann. Wir nehmen wahr, wie dieser
Krieg eskaliert und wie immer mehr Menschen getötet werden. Je länger dieser Krieg
andauert, desto größer wird das Leiden der Menschen in der Ukraine.
Wir erleben, dass auch hier in Deutschland unter dem Eindruck des Krieges die Aufrüstung
und Militarisierung unseres Lebens vorangetrieben wird. Die angekündigte massive
Aufrüstung der Bundeswehr erfüllt uns mit großer Sorge. Wir lehnen sie ab! Sie wird keinen
Frieden bringen.
Mit großem Respekt nehmen wir wahr, dass es Menschen in der Ukraine gibt, die mit bloßen
Händen auf Panzer zugehen, mit den russischen Soldaten reden und manchmal sogar die
Panzer zum Umdrehen bringen. Dieses Vorgehen erfordert viel Mut und Zivilcourage. Sie
zeigen uns mit diesem Vorgehen, was auch möglich wäre.
Die soziale, gewaltfreie Verteidigung ist eine durchaus wirksame Waffe. Die Geschichte des
Zweiten Weltkrieges zeigt, dass es viele Fälle gab, wo gewaltfreier Widerstand erfolgreich
gegen die Nazis eingesetzt wurde, auch zur Rettung von Jüdinnen und Juden und zur
Bewahrung der eigenen Integrität. Beispiele aus Dänemark, Norwegen und Bulgarien
belegen dies. Wir haben diese Beispiele in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion gesammelt
in unserem Buch „Gewaltfrei gegen Hitler“.
Wer sich mit gewaltfreien Mitteln zur Wehr setzt, kapituliert nicht. Selbst wenn Russland die
Ukraine militärisch besiegen würde, könnte die russische Regierung dieses große Land nicht
so einfach regieren. Wenn sich 44 Millionen Menschen der Zusammenarbeit verweigern,
gelingt keine dauerhafte Besatzung, auch nicht unter Einsetzung einer
Marionettenregierung. Die Menschen in der Ukraine haben in der jüngsten Vergangenheit
gezeigt, wie viel Kraft in zivilem, gewaltfreiem Widerstand steckt.
Der polnische Politologe Maciej Bartkowski, der in den USA am International Center for
Nonviolent Conflict lehrt und forscht, hat jüngst darauf hingewiesen, dass es in der Ukraine
vor dem Krieg eine große Bereitschaft gab, im Falle eines russischen Angriffs zivilen
Widerstand zu leisten. Ziviler Widerstand ist eine ernstzunehmende Alternative zum Krieg,
auch zu einem gemäß dem Völkerrecht legitimen Verteidigungskrieg.
Der ukrainische Pazifist Yurii Sheliazhenko schreibt am 27. Februar:
„Die Ukrainische Pazifistische Bewegung verurteilt alle Militäraktionen auf Seiten Russlands
und der Ukraine im Kontext des aktuellen Konflikts. Wir verurteilen die militärische
Mobilisierung und Eskalation innerhalb und außerhalb der Ukraine, einschließlich der
Androhung eines Atomkriegs. Wir rufen die Führung beider Staaten und Streitkräfte auf,
zurückzutreten und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frieden in der Ukraine und auf
der ganzen Welt kann nur auf gewaltfreiem Weg erreicht werden. Krieg ist ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit. Deshalb sind wir entschlossen, keinerlei Krieg zu unterstützen und
uns um die Beseitigung aller Kriegsursachen zu bemühen.
Es ist schwer, jetzt ruhig und vernünftig zu bleiben, aber mit der Unterstützung der globalen
Zivilgesellschaft ist es einfacher. Freunde aus vielen Ländern zeigen Solidarität und fördern
aktiv den Frieden mit friedlichen Mitteln in und um die Ukraine. Wir sind hier zutiefst dankbar
und inspiriert.“ Und er fährt fort:
„Die meisten Menschen schlingern intuitiv zwischen einer Kultur des Friedens und der
Gewaltlosigkeit einerseits und einer Kultur des Krieges und der Gewalt andererseits hin und
her. Pazifisten sollten den guten Weg zeigen. Gewaltlosigkeit ist ein viel effektiveres und
fortschrittlicheres Instrument für globale Governance, soziale und ökologische Gerechtigkeit,
als die Wahnvorstellungen über systemische Gewalt und Krieg als Allheilmittel, als
wundersame Lösung für alle sozioökonomischen Probleme.“
Wir vermuten und befürchten, dass diese Gedanken in der jetzigen kriegsbereiten Stimmung
in unserem Land belächelt und nicht ernst genommen werden. Aber wir möchten sie vor
allem auch denjenigen in der Friedensbewegung nicht vorenthalten, die jetzt schwankend
geworden sind und meinen, Waffenlieferungen würden Frieden bringen. Unser Platz als
Menschen aus der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion ist an der Seite der Opfer dieses Krieges
und an der Seite der ukrainischen und russischen Pazifist*innen.
Dietrich Becker-Hinrichs im Namen des Vorstands und Arbeitsausschusses der Werkstatt für
Gewaltfreie Aktion, Baden
Der gesamte Text von Yurii Sheliazhenko ist auf der Webseite der Werkstatt www.wfga.de in einer
deutschen Fassung zu lesen.
Das Buch „Gewaltfrei gegen Hitler“ kann ebenfalls über die Webseite www.wfga.de bestellt werden.